Prof. Dr. Joachim Mitschke Wirtschaftsforschung Wirtschaftsberatung
Bürgergeld Kostenrechnung Controlling Bilanzierung Sozialstaat
Arbeitslosigkeit negative Einkommenssteuer Beschäftigungspolitisch Kombilohn
Steuerreform Basic income Grundsicherung tax
Bürgergeld für mehr
Arbeitsplätze
(zuletzt: Johann Wolfgang Goethe - Universität Frankfurt a.M. Fachbereich
Wirtschaftswissenschaften)
Wirtschaftsforschung und Wirtschaftsberatung
Schwerpunkt
Kosten- und Leistungsrechnung / Controlling
Betriebswirtschaft
Bilanzierung
Steuerlehre (keine Steuerberatung)
Management von Behörden und öffentlichen Unternehmen
Schwerpunkt
Steuersysteme
Volkswirtschaft
Sozialleistungs- und Grundsicherungssysteme
Arbeitsmarkt und Beschäftigung
Volkswirtschaftliches Rechnungswesen
Bürgergeld für mehr Arbeitsplätze
Das Ist ein vertrackter Befund. Der Lohn muß auch bei den
Unqualifizierten die materielle Existenz sichern, aber dieser Lohn führt als
Kostenfaktor millionenfach in die Arbeitslosigkeit. Wie also lassen sich die
Kosten der Betriebe senken, ohne die Existenz der Bürger zu gefährden?
Joachirn Mitschke, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Johann Wolfgang
Goethe‑Universität Frankfurt, erläutert das Konzept des Bürgergeldes ‑ der
Integration der Einkommensteuer mit den Transferzahlungen des Staates ‑ und
seine Rolle beim Versuch, den Konflikt der Lohnpolitik zu entschärfen, die
materielle Existenz der Bürger zu sichern und mehr Beschäftigung zu
ermöglichen. (Bar.)
Die Fakten sind bekannt. Seit
Jahrzehnten hat sich der Sockel der Arbeitslosigkeit jeweils erhöht, wenn die
Konjunktur nach einem Tief wieder anzieht. Und der Aufschwung geht ‑ wie auch
diesmal ‑ weitgehend am Arbeitsmarkt vorbei, weil die Unternehmen unter dem
Wettbewerbs‑ und Kostendruck der Rezession Arbeitsplätze automatisiert haben
und nach der frischen Rezessionserfahrung mit Neueinstellungen auch dann
zögern, wenn sich die Auftragsbücher wieder füllen.Wirtschart
und Gesellschaft konnten den Arbeitslosenanstieg bei aller Bitterkeit für die
Betroffenen so lange verkraften, solange sich das Volumen der Entlassungen
in Grenzen hielt und das traditionelle Auffangsystem aus Arbeitslosengeld,
Arbeitslosenhilfe, Arbeitsförderungsmaßnahmen und Sozialhilfe den größten
Schaden abwendete. Nunmehr jedoch beginnt das soziale Netz zu reißen, bewegt
sich das Niveau der Arbeitslosigkeit auf ein Ausmaß zu, das die Zweifel an der
Funktionstüchtigkeit des hergebrachten wirtschafts- und
sozialpolitischen Ordnungsrahmens zu übergehen nicht mehr erlaubt.
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der
Bundesanstalt für Arbeit schätzt, weitere Konjunkturerholung und
Wanderungsbewegungen eingerechnet, daß in den nächsten Jahren fünf bis sieben
Millionen Arbeitsplätze in Deutschland fehlen. Es ist unstreitig, daß weder
quantitativ noch qualitativ verstandenes Wachstum der Produktion solchen
Arbeitsplatzmangel auf ein erträgliches und unvermeidbares Maß zurückführen
kann. Produktionswachstum mag etwas im Kampf gegen konjunkturbedingte
Arbeitslosigkeit taugen, richtet aber da nichts aus, wo der Ordnungsrahmen
markträumende, Arbeit schaffende Löhne verhindert. Dort geht es nicht um ein
temporäres Konjunkturproblem, sondern um ein dauerhaftes Strukturdefizit.
Der zweite Arbeitsmarkt ist eine Fehlkonstruktion
Nach der amtlichen Statistik besitzt rund die Hälfte der bundesweit
registrierten Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung, Von
Arbeitslosigkeit sind also vorrangig Leichtlohnempfänger betroffen. Den steten
Abbau einfacher Arbeitsplätze erklärt zum einen die von den Gewerkschaften
jahrzehntelang verfolgte tarifäre Sockelungspolitik. Sie hat
qualifikationsbedingte Lohndifferenzen eingeebnet und so insbesondere in den
qualifikationsschwachen Leichtlohngruppen die Kosten der Arbeit einschließlich
der Lohnnebenkosten über ihren produktiven Beitrag angehoben. Die
Lohnnebenkosten, zum zweiten, hat der Fiskus dadurch in die Höhe getrieben,
daß er in den Dienst der interpersonellen Umverteilung nicht nur
steuerfinanzierte Transfers, sondern zunehmend auch beitragsfinanzierte
Sozialleistungen eingespannt hat. Die Sozialpolitik übertrug allen Sparten der
Sozialversicherung immer mehr Mindestsicherungsaufgaben mit
beitragssteigernden Folgen. Was originärer Gegenstand eines umfassenden
Gesellschaftsvertrags ist, findet sich heute als kostentreibender Bestandteil
im individuellen Arbeitsvertrag.
Die Zielsetzung der Gewerkschaften, untere Lohngruppen in den Tarifabschlüssen
durch Sockelungsbeträge zu begünstigen, erhält ihre Berechtigung in der Sorge
um die Existenzsicherung von Leichtlohnempfängern. Die
Mindestsicherungsfunktion der Löhne können weder die altersbezogenen
Leistungen der Rentenversicherung noch die Leistungen der
Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe übernehmen. Arbeitslosengeld und
(originäre) Arbeitslosenhilfe sind ohnehin zeitlich begrenzt, häufig ist die
Aufstockung ungenügender Arbeitslosenhilfe durch Sozialhilfe erforderlich.
Schon das von den Kommunen aufzubringende Finanzierungsvolumen macht
augenfällig, daß die Sozialhilfe die Mindestsicherungsfunktion von Löhnen
nicht ersetzen kann:
Innerhalb des gegebenen beschäftigungs und sozialpolitischen
Ordnungsrahmens handeln die Tarifparteien durchaus rational, indes zum
gesellschaftlichen Schaden: die Unternehmen, wenn sie unrentable Arbeitsplätze
einsparen, Arbeitnehmer und Gewerkschaften, wenn sie auf existenzsichernden
Löhnen bestehen. Leichtlohnempfänger stecken in einem Dilemma: Fordern sie
existenzsichernde Löhne, dann gefährden sie ihren Arbeitsplatz; lassen sie
sich auf geringere, arbeitsplatzsichernde Löhne ein, dann gefährden sie
schlimmer noch die Bedarfsdeckung auf eine ihnen zumutbare Weise.
Also kämpfen sie mit den Gewerkschaften für existenzsichernde Löhne mit dem
vorhersehbaren Ergebnis, den Arbeitsplatz zu verlieren.Die einzige Partei, die
im Arbeitsmarktprozeß nicht rational handelt, ist der Fiskus. Er gibt den
privatwirtschaftlichen Akteuren einen für die Erhaltung qualifikationsarmer
Arbeitsplätze ungeeigneten Handlungsrahmen vor und finanziert damit, für den
Steuer und Beitragszahler ungemein kostspielig, vorwiegend
Arbeitslosigkeit statt Arbeit.
Und er interveniert mit beschäftigungsfeindlichen Folgen, wenn er zur
Grundsicherung und interpersonellen Umverteilung die falschen (beitragsfinanzierten)
Instrumente einsetzt, den demographisch bedingten Anstieg der Lohnnebenkosten
also noch beschleunigt. Insofern darf sich Politik nicht larmoyant darüber
beschweren, daß sie für die Beschäftigungsergebnisse der von ihr nicht zu
vertretenden Tarifabschlüsse haftbar gemacht wird. Die Schwächen des
beschäftigungs- und sozialpolitischen Ordnungsrahmens sind Parlament und
Regierung nicht verborgen geblieben. Aber statt umzudenken, ideologisch,
parteipolitisch und bürokratisch gleichermaßen unbequem, haben es Gesetzgebung
und Administration mit mehr oder minder marginalen Korrekturen der
überkommenen arbeitsmarktpolitischen Eingriffe versucht.
Da gibt es zunächst eine ganze Reihe von Arbeitsförderungsmaßnahmen. Sie
gründen sich auf die plausible Überlegung, daß man die Disparität von
Arbeitsergiebigkeit und Lohnhöhe auch durch Berufsqualifikation und damit
durch Steigerung der Produktivität mindern kann, wenn denn schon die Lohnhöhe
(scheinbar) staatlich nicht zu beeinflussen ist.
Die jahrelange Erfahrung mit staatlich subventionierter Ausbildung,
Fortbildung und Umschulung, mit Berufsförderungswerken,
Beschäftigungsgesellschaften und Lehrwerkstätten zeigt indes, dass sich die
Berufs und Arbeitsqualifikation nur in engen, begabungsbedingten Grenzen
verbessern läßt. Der Qualifikationserfolg kann die Freisetzungsschübe des
regulären Arbeitsmarkts nicht entfernt kompensieren und wird um so mühsamer,
je schneller die Produktivitätsanforderungen durch internationalen Wettbewerb
bei offenen Grenzen wachsen. Bekanntlich beherrschen heute etwa ostasiatische
"Entwicklungs" Länder Produktionstechnologien, die wir bis vor kurzem in
unserem Alleinbesitz glaubten. Auch die staatliche Förderung eines
"zweiten Arbeitsmarkts" über Lohnsubventionen und sonstige ABM Maßnahmen ist
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Schwerer als quantitative Beschränkungen
wiegen indes ordnungspolitische Bedenken und Effizienzeinwände. Jene
Arbeitsplätze nämlich, die die öffentliche Hand im zweiten Arbeitsmarkt
einrichtet, gehen dem ersten Arbeitsmarkt, etwa privaten Sanierungsbetrieben,
Gärtnereien oder Altenheimen, verloren. Die Maßnahmen bewirken also per saldo
keine Ausdehnung des Arbeitsplatzangebots. Wenn schon Steuer und
Beitragsgelder für derartige Arbeiten vorhanden sind, sollte die öffentliche
Hand Aufträge an private Anbieter vergeben, die Arbeitskräfte nach aller,
Erfahrung wirksamer als Behörden und Staatsbetriebe einsetzen. Nun geht der
Staat neuerdings auch dazu über, den ersten, regulären, privatwirtschaftlichen
Arbeitsmarkt finanziell zu stützen. Er tut dies durch zeitlich befristete
Lohnsubventionen. Die Stadtkämmerer sind da besonders findig. Anstelle der
Sozialhilfe zahlen sie privaten Unternehmern, die Sozialhilfeempfänger
einstellen, auf ein Jahr befristete Lohnkostenzuschüsse, Die Zuschüsse
betragen bis zu 1400 DM monatlich, das ist oft mehr als die Sozialhilfe und
mehr als die Hälfte des Bruttolohns. Der bisherige Hilfeempfänger kann sich
nicht so weit qualifizieren, daß der Anstieg der Arbeitsproduktivität den
Lohnkostenzuschuß erreicht. Er müßte seine Produktivität verdoppeln, noch dazu
innerhalb eines Jahres. Nach Wegfall des Lohnkostenzuschusses ist er wieder,
arbeitslos. Keinen Schaden nehmen dagegen Unternehmens und
Stadtkasse: Der Steuerzahler hat unternehmerische Lohnkosten subventioniert,
für den Lebensunterhalt des Entlassenen kommt nach dem Erwerb von gesetzlichen
Versicherungsansprüchen nunmehr die Bundesanstalt für Arbeit auf. Der schwarze
Peter wurde weitergeschoben. Ein ähnliches, vielleicht nicht ganz so
augenfälliges Ergebnis steht für das von der Bundesregierung aufgelegte,
vierjährige Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose zu befürchten. Aus solchen
Einsichten und Erfahrungen läßt sich das Anforderungsprofil einer neuen,
arbeitserhaltenden und arbeitsschaffenden Form der Grundsicherung ableiten.
1. Sie muß steuerfinanziert sein und die zu erhaltende beitragsfinanzierte
Sozialversicherung von Mindestsicherungselementen entlasten, so daß der
demographisch bedingte Anstieg von Beiträgen und Lohnnebenkosten wenn nicht
kompensiert, so doch zumindest in erträglichen Grenzen gehalten wird.
2. Die Gestaltung der Grundsicherung muß lohninduzierte Anreize für die
Unternehmen setzen, insbesondere einfache Arbeitsplätze zu erhalten und neu
einzurichten, wobei Mitnahmeeffekte zu vermeiden sind. Sie muß für
Arbeitnehmer und potentielle Arbeitsanbieter Anreize und Möglichkeiten
schaffen, unter Lohnbegrenzung in Arbeit zu bleiben oder in Arbeit zu kommen.
Dies erfordert, die lohn ergänzende Grundsicherung zuverlässig, ermessensfrei,
bedürfnisorientiert, unbefristet und bürokratiearm zu konzipieren. 3. Die Höhe
der Grundsicherung muß unter Einbeziehung aller bedürfnisorientierten
Detailleistungen sozialstaatswürdig sein, darf aber keine Höhe annehmen, bei
der es sich auf Dauer bequem einrichten läßt. Insbesondere ist zu
gewährleisten, daß das verfügbare Einkommen von Erwerbstätigen immer und in
anreizstiftender Höhe über den Bezügen alleiniger Grundsicherungsempfänger
liegt.
4. Die lohnergänzende Grundsicherung muß auf den regulären Arbeitsmarkt
zielen.
5. Angesichts des staatlichen Verschuldungsgrads und der
beschäftigungsfeindlichen Wirkungen, die eine Steuererhöhung auslöste, darf
eine Neuordnung der Grundsicherung nur auf Haushaltsneutralität abstellen.
Der Grundgedanke des Bürgergeldsystems ist, den Einkommen und
Lohnsteuertarif um einen Negativbereich für auszuzahlende Sozialleistungen zu
erweitern. Der Einwand von ' Reformgegnern, die Idee der Negativsteuer sei
alt, ist genauso originell, wie wenn man einer neuen Flugzeugkonstruktion
vorwirft, daß man das aerodynamische Auftriebsprinzip schon längst kenne.
Alle steuerfinanzierten Sozialleistungen können zu einem nach einheitlichen
Sozial und Bedürftigkeitsmerkmalen differenzierten Universaltransfer,
zum Bürgergeld, zusammengefaßt werden. Bei vollständiger Integration bestimmt
die Höhe des Universaltransfers die Höhe der bei der Besteuerung abzuziehenden
Freibeträge, insbesondere der Kinder und Grundfreibeträge. Dadurch läßt
sich der Sozialleistungsbereich nahtlos, also ohne die unerträglichen und
unbeabsichtigten Tarifsprünge des jetzigen Steuer und Sozialrechts, in
den Steuerbereich überleiten. Integrationsfähig sind vorrangig die Sozialhilfe
und die Arbeitslosenhilfe, Kindergeld, Erziehungsgeld, Wohngeld und
Ausbildungsförderungsleistungen.
Der Integrationsgedanke kommt nicht von ungefähr, zieht doch das
Einkommensteuerrecht unter den Kapiteln Sonderausgaben (Paragraph 10
Einkommensteuergesetz), Kinder und Sonderfreibeträge (32) und
außergewöhnliche Belastungen (33 bis 33c) die gleichen Sozial- und
Bedürftigkeitsmerkmale für die Gewährung von Steuerbegünstigungen heran, die
auch bevorzugte Objekte einer Vielzahl steuerfinanzierter Sozialleistungen
sind: Kinderreichtum, Kinderbetreuung, Schwangerschaft, Ausbildung, Existenz
und Risikovorsorge, Krankheit, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Alter und Tod.
Es ist weiterhin auffällig, daß zur Repräsentation steuerlicher
Leistungsfähigkeit dieselben ökonomischen Indikatoren verwendet werden, die
auch die heutigen Sozialleistungsgesetze wie Wohngeldgesetz und
Bundessozialhilfegesetz zur Beurteilung sozialer Bedürftigkeit benutzen,
nämlich Einkommen und Vermögen.
Gewaltige Umverteilung mit geringem Wirkungsgrad
Das Bürgergeldsystem sieht vor, daß Erwerbs und Vermögenseinkünfte die
gestaffelten Grundbeträge nur zu 50 Prozent kürzen. Verdient etwa ein
teilzeitbeschäftigter, lediger Hilfsarbeiter, der bei völliger Mittellosigkeit
einen Bürgergeldanspruch entsprechend Familienstand, Erwerbsfähigkeit,
kleinstädtischer Wohnsituation und anderer Faktoren von monatlich 1100 DM
hätte, n4ch Abzug der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung
900 DM netto im Monat, so kürzt dies das auszuzahlende Bürgergeld um 450 DM.
Zur Bedarfsdeckung bleiben 900 DM (steuerfreier) Nettolohn und 650 DM
Bürgergeld, zusammen 1550 DM. Dies ist um 450 DM mehr, als wenn sich der
Arbeiter allein auf die staatliche Grundsicherung verlassen würde. Lohnabstand
ist durch die Arithmetik des Systems immer gewährleistet.
Das Bürgergeldkonzept befreit Leichtlohnempfänger aus dem Dilemma, sich
zwischen arbeitsplatzgefährdenden und existenzgefährdenden Löhnen entscheiden
zu müssen, und erleichtert die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen, die
sich immerhin mehr als ein Zehntel der Arbeitslosen wünscht. Eine Entlassungen
vorbeugende, arbeitskostenneutrale Verkürzung der Wochenarbeitszeit etwa von
fünf auf vier Tage erfordert wegen fixer Arbeitskostenbestandteile eine mehr
als zwanzigprozentige Bruttolohnreduzierung. Eine solche Lohnreduzierung kann
bei den meisten Unternehmen nicht wie bei VW durch Abbau über~ und
außertariflicher Leistungen spürbar aufgefangen werden. Andererseits gerieten
mit einer mehr als zwanzigprozentigen Lohnkürzung Leichtlohnempfänger in
Existenznöte.
Das Bürgergeld schwächt nun eine zwanzigprozentige Lohnkürzung in eine
zehnprozentige Senkung des verfügbaren Einkommens ab, macht kostenneutrale
Arbeitszeitverkürzungen mithin sozialverträglicher. Es ist keine
Lohnsubvention im traditionellen Sinn. Bürgergeld ist individuell
bedürftigkeitsabhängig und stellt auch nicht auf die Unzulänglichkeit einer
bestimmten Einkunftsart ab. Wegen des individuellen Bedürftigkeitsbezugs
(weitere Arbeitsverhältnisse, Vermögenseinkünfte, Familienstand,
Erwerbsfähigkeit) ist es zielgenauer und beansprucht insoweit auch wesentlich
weniger Haushaltsmittel als Lohnsubventionen,
Die Tarifpartner würden sich im Bürgergeldsystem nicht ohne zwingenden Grund
auf niedrigere Löhne zu Lasten des Subventionsvolumens und des Steuerzahlers
einigen, wie das etwa der Sachverständigenrat für Lohnsubventionen fürchtet.
Da das Bürgergeld nur die Hälfte einer Lohnsenkung auffängt, bleibt das
Interesse des Arbeitnehmers an der Höhe seiner Entlohnung erhalten.
Die beschäftigungspolitischen Chancen des Konzepts lassen sich dahin gehend
zusammenfassen, daß Arbeitsplätze in Leichtlohngruppen erhalten und geschaffen
werden, die Einrichtung und die Besetzung von Teilzeitarbeitsplätzen
erleichtert werden und zur Vermeidung von Massenentlassungen notwendige
Arbeitszeit und Lohnkürzungen sozialverträglich abgefedert werden. Es
gehört zu den Binsenweisheiten, daß die beste Sozialpolitik eine erfolgreiche
Beschäftigungspolitik ist. Aber auch dann, wenn man die
beschäftigungspolitischen Vorzüge des Bürgergeldkonzepts bezweifelt, bleibt
Reformbedarf bei der sozialen Grundsicherung in Deutschland. Und dies nicht
nur wegen des Strukturwandels und der Finanzierungsprobleme in der
Sozialhilfe.
Bei massenhafter Identität von Steuerzahlern und Sozialleistungsempfängern
nimmt der Fiskus dem Bürger aus der rechten Tasche, was er demselben Bürger in
die linke Tasche steckt. Das Rheinisch-Westfälische Institut für
Wirtschaftsforschung (RWI) kommt in einem für das Bundesfinanzministerium
erstellten Gutachten vom Mai 1994 zu dem Ergebnis, daß "der Anteil der
Erwerbstätigenhaushalte, bei denen die empfangenen Transfers die Abgaben
übersteigen...sowohl in den alten wie in den jungen Bundesländern mit 2,5
beziehungsweise 3 Prozent überraschend gering (ist)",
Anders formuliert: Rund 97 Prozent der Erwerbstätigenhaushalte, also ohne
reine Transferempfänger, finanzieren vollständig die eigenen Sozialleistungen.
Die fehlende Saldierung von Steuern und Transfers bläht Steuer und
Sozialhaushalte der verschiedenen Körperschaften mit allen administrativen und
steuerausweichenden Folgekosten unnötig auf. Der Fiskus bewegt einen
gewaltigen Umverteilungsapparat mit geringem Wirkungsgrad.
Die Parallelkoordination von Steuer- und Sozialrecht bringt für sich allein
wenig an Effizienzgewinn. Entscheidende Fortschritte sind erst durch
Zusammenfassung aller steuerfinanzierten Sozialleistungen bei einem
Transferamt oder wie im Bürgergeldsystem durch Integration mit der
Einkommensbesteuerung zu erreichen. Nur in dieser zweiten Integrationsvariante
fallen auch jene erheblichen Effizienzgewinne an, die aus der Verrechnung von
Steuerschulden und Leistungsansprüchen resultieren.Steuerpolitiker haben die
Gewohnheit, den sozialen Rahmenbedingungen ihres Inkassogeschäfts wenig
Aufmerksamkeit zu schenken. Und Sozialpolitiker neigen dazu, die Finanzierung
ihrer Wohltaten nicht hinreichend zu überdenken. Bei einem Anrechnungssatz von
50 Prozent der eigenen Erwerbsbezüge auf das Bürgergeld liegt die
Unterstützungsgrenze, also der Übergang vom Transfer in den
Steuerbereich, beim Doppelten des Bürgergeldes. Die dadurch entstehenden
Einkommen und Lohnsteuerausfälle in Höhe von 25,5 Milliarden DM
(Datenbasis 1992) kompensieren der systembedingte Abbau legaler und illegaler
Leistungskumulation sowie der Wegfall personenbezogener Objektsubventionen an
Nichtbedürftige. Haushaltsneutralität wird ohne Absenkung des sozialen
Sicherungsniveaus, ohne Steuererhöhungen und auch ohne Kalkül administrativer
Ersparnisse und entfallender Mindestsicherungselemente in der gesetzlichen
Sozialversicherung erreicht. Die Arbeitsscheu ist nicht die Regel. Es gibt
Schätzungen, die auf einen hohen Finanzbedarf des Bürgergeldsystems kommen.
Vorrangig geht es um die Höhe der Einkommen und Lohnsteuerausfälle.
Solche Steuerausfälle treten nun wegen der notwendigen Koordination von Steuer
und Sozialrecht gleichermaßen auf, wenn man wie erwogen
eine generelle Teilanrechnung eigener Erwerbsbezüge auch, bei der Sozialhilfe
einführt, Aus der Diskussion um den ab 1996 einzuführenden
Einkommensteuertarif entsteht nicht der Eindruck, daß diese Konsequenz
mitbedacht ist.'
Den Bedarfsschätzungen liegt das Existenzminimum für Erwachsene als
gesamtwirtschaftlicher Durchschnittswert zugrunde, sie übersehen, daß für
Kinder und Jugendliche nach Alter niedrigere Werte anzusetzen sind. Dem
Bürgergeld- system werden ferner unzulässigerweise jene Steuerausfälle
zugerechnet, die die vom Bundesverfassungsgericht geforderte ' Freistellung
des Existenzminimums für Grenzsteuerzahler bereits jetzt und nach der ab 1996
notwendigen Definitivbereinigung des Tarifs zusätzlich bedingt.
Und schließlich lasten die Rechnungen dem System zu Unrecht auch noch die sehr
hohen Steuereinbußen an, die eine Ausdehnung der Steuerbefreiung niedrigerer
Einkommen auf alle Steuerpflichtigen verursachen würde. Aber gerade solche
Regelung hat der von mir als Kläger mitveranlaßte Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich nicht verlangt und betont, daß der
(Grund )Freibetrag mit steigendem Einkommen deutlich abgeschmolzen werden
kann.
Das Bürgergeldkonzept trifft wiederholt der Vorwurf, die
Eigenverantwortlichkeit und den Arbeitswillen der Bürger zu schwächen.
Unangenehme Antragsprozeduren, behördliche Ermessensspielräume, Warteschlangen
und sonstige Formen der Stigmatisierung werden als nützliche Mittel angesehen,
der Eigenverantwortung und dem Arbeitseifer auf die Sprünge zu helfen.
Zunächst ist nicht einsichtig, warum ausgerechnet die transparente und
systematische Zusammenfassung jener ungeordneten Fülle sozialer
Einzelleistungen und Einzelbürokratien, die die stete Zuweisung von
Verantwortung an den Staat stimuliert, das Anspruchsdenken der Bürger
befördert und die bedürftigkeitsfremde Leistungshäufung erst möglich gemacht
hat, die Eigenverantwortlichkeit des Bürgers aushöhlen soll.
Solch ein Standpunkt verkennt zudem die heutige soziale Schichtung der
Grundsicherungsbedürftigen. Die Sozialhilfestatistik stützt die Auffassung,
daß eine Randgruppe von Arbeitsscheuen nicht zum Regeladressaten einer
Grundsicherungsordnung erhoben werden kann. Neben der vorrangigen
Arbeitslosigkeit mit demnächst über 50 Prozent weist sie als „Hauptursachen
der Hilfegewährung“ Krankheit mit 5 Prozent, Ausfall des Ernährers durch Tod,
Scheidung, Trennung mit 8 Prozent und Unzulänglichkeit vor Versicherungs
und Versorgungsansprüchen mit 12 Prozent aus.
Es sind also in mindestens drei Vierteln aller Fälle eher schicksalhafte
Wendungen, die Grundsicherungsbedarf auslösen Für die kollektive
Beschäftigungssituation tragen Fiskus, Zentralbank und Tarifparteien durch
Finanz , Währung , Tarif und rahmensetzende Ordnungspolitik mehr
Verantwortung als individuell Arbeitsentscheidungen. Im übrigen ist die
Hauptsorge nicht, daß es beim bestehen den Tariflohnniveau an der
Arbeitsplatznachfrage, sondern am Arbeitsplatzangebot fehlt.
Etwa ein Viertel der Ursachen für Sozialhilfebedarf ist statistisch ungeklärt.
Unter diesem Viertel befinden sich mit Sicherheit Fälle von Hilfeempfängern,
die einer ihnen zumutbaren Arbeit zumindest offiziell nicht nachgehen.
Nach einer neueren Auswertung lehnen sechs Prozent der Sozialhilfeempfänger
angebotene Arbeit ab. Aber gerade hier stellt sich die Frage nach Ursache und
Wirkung. Wie kann man Arbeitswillen erwarten, wenn die Arbeit im jetzigen
Ordnungssystem finanziell kaum etwas einbringt? Wie so oft sucht man das Heil,
eher sozialistisch als marktwirtschaftlich, in öffentlichen Arbeitspflichten
und moralischen Appellen, will also erziehen. Der bessere Mensch wird wieder
einmal gesucht. Man ist auf der falschen Fährte. Man ändere das System.
Genial einfache Idee
Die Grundidee ist denkbar einfach: Die
Gewinne von Unternehmen bleiben prinzipiell steuerfrei, solange sie im Betrieb
bleiben. Erst wenn der Eigentümer das Geld für den eigenen Verbrauch aus dem
Unternehmen herausnimmt oder der Gewinn an die Anteilseigner ausgeschüttet
wird, greift der Fiskus zu und kassiert Einkommensteuer. Allein mit diesem
Kunstgriff in seinem Modell einer neuen Einkommensteuer gelingt es dem
Wirtschaftswissenschaftler Joachim Mitschke, eine Vielzahl komplizierter
Paragrafen überflüssig zu machen und den Steuerdschungel wesentlich zu
lichten.„Einfachheit und Durchschaubarkeit der Einkommensbesteuerung“ seien
notwendige und nützliche Vorbedingungen ihrer Praktikabilität, indes keine
finale Zielsetzung, erklärt Mitschke, früher Professor für volks- und
betriebswirtschaftlichtes Rechnungswesen und heute im Ruhestand, zur
Begründung seinem Reformkonzeptes. Die Einfachheit rangiere "hinter den
gewichtigeren Zielen der Gleichmäßigkeit, Beschäftigungs- und
Investitionsfreundlichkeit, Familien‑ und Kinderfreundlichkeit sowie der
fiskalischen Ergiebigkeit. Nach den überschlägigen Berechnung des
Wirtschaftswissenschaftlers würde die von ihm entwickelte Einkommensteuer mit
einem im Wesentlichen proportionalen Steuersatz von 30 Prozent dem Staat sogar
geringfügig höhere Einnahmen bringen als das gegenwärtige System von
Lohnsteuer, Einkommensteuer, Zinsabschlag und Körperschaftssteuer. Dank des
niedrigen Steuertarifs wird nach den Worten des Wissenschaftlers jedoch
nicht nur die Massenkaufkraft zu nehmen und die erhöhte Binnennachfrage zu
einem Anstieg von Produktion und Beschäftigung führen. Auch die Angebotsseite
des Arbeitsmarktes werde profitieren: Wenn die Arbeitskraft nicht mehr so
stark besteuert wird, so seine These, können sich die Arbeitnehmer mit
geringeren Bruttolöhnen zufrieden geben. Mitschke: Zumindest ist das
Besteuerungsargument bei Tarifverhandlungen vom Tisch. Wie andere Reformer
will auch Mitschke das Steuerrecht von zahlreichen Ausnahmen und
Lenkungsnormen befreien, mit denen der Gesetzgeber wirtschafts-, sozial‑,
bildungs-, wohnungs-, umwelt- und gesundheitspolitische Ziele verfolgt. Das
Herausragende an seinem Entwurf ist jedoch die Verlagerung der Besteuerung von
Unternehmensgewinnen auf die Entnahmen oder Ausschüttungen. Weil dies für alte
Unternehmensformen ‑gleich, ob Kapital‑ oder Personengesellschaften ‑ gelten
soll, würden das gesamte Körperschaftsteuerrecht und das konfliktträchtige,
selbst von Experten nicht mehr zu durchschauende Bilanzsteuerrecht
überflüssig. Doch weitaus mehr als die Arbeitserleichterungen für
Steuerberater und Finanzämter
interessiert sich
Mitschke für die wirtschaftlichen
Folgewirkungen. Da die Gewinne in den Betrieben selbst nicht
besteuert werden,
können Unternehmer und Manager die Betriebe
ohne steuerliche Rücksichtnahmen ausschließlich nach wirtschaftlichen und
handelsrechtlichen Grundsätzen führen Mindestens ebenso wichtig: Weil erst der
Konsum der Eigentümer besteuert wird, steigt der Anreiz, die Gewinne wieder zu
investieren. Dadurch wird die Eigenkapitalbasis der Unternehmen gestärkt und
die „beschäftigungsfördende Erneuerung des Produktionsapparats“ (Mitschke)
unterstützt. Und das hilft letztlich auch den Arbeitnehmern: Je mehr
Eigenkapital Unternehmen haben, desto weniger anfällig sind sie in
Krisenzeiten.
Konzeption und Design: SuessSauer GmbH |Agentur für Kommunikation
24Tura
Suess Sauer GmbH - Agentur für Kommunikation